Cashmere - Das Material
Rohstoff
So weich, so zart, so leicht – der Rohstoff, aus dem das Cashmere-Garn entsteht, ist das kuschelige Flaumhaar der Cashmere-Ziege, das unter den längeren, deckenden Konturhaaren wächst und nur unter extremen Wetterbedingungen ausgebildet wird.
Je länger und feiner die Faser der Rohware ausfällt, umso dünner und entsprechend wertvoller ist der daraus gesponnene Cashmere-Faden. Die Cashmere-Faser zählt zu den Naturfasern tierischen Ursprungs. Tierische Fasern unterscheidet man primär in Wolle (Schaf), feine Haare (Lama, Alpaka, Mohair, Angora, Cashmere, Kamel), grobe Haare (Rind, Ziege, Ross) und Seide.
Um sich den Umweltbedingungen anzupassen, haben alle Spezies mit Haarfolikeln – auch der Mensch – im Laufe von Jahrmillionen Fasern aus gebildet, die sie gegen Witterung schützen. Das können Haare sein oder aber Fell beziehungsweise Pelz – eine natürliche, überlebenswichtige Anpassung, die Temperaturen regelt, Sonnenstrahlen absorbiert oder Tastfunktionen hat.
Eine Vier-Jahreszeiten-Faser
Generell zählt das Primärhaar der Ziege zu den ältesten natürlichen Spinnstoffen der Welt und wird als Haargarn bezeichnet.
Der sekundäre Duvet-Flaum der Cashmere-Ziege gilt als eines der feinsten Haargarne überhaupt. Die Cashmere-Faser ist eine äußerst komplizierte Proteinfaser (Eiweiß) mit besonderen Eigenschaften: durch ihre spezielle Oberfläche extrem leicht, flexibel und biegsam, im Volumen ausdehnbar sowie elastisch wie ein Gummi. Die Reißfestigkeit beträgt 2,5 Gramm.
Wie die Faser der Schafswolle, so ist auch die Cashmere-Faser in der Lage, Feuchtigkeit in Form von Wasserdampf aufzunehmen und dabei bis zu 30 Prozent ihres Eigengewichtes zu absorbieren.
Cashmere ist atmungsaktiv, isoliert gut gegen Wärme und Kälte und wärmt extrem. Man spricht deshalb auch von einer „Vier-Jahreszeiten-Faser“. Cashmere ist antistatisch und nimmt nur wenig Staub aus der Luft auf. Seine natürliche Schutzschicht macht es weitgehend gegen Flecken resistent. Die Faser ist nicht entzündlich, zu 100 Prozent biologisch abbaubar und in der Lage, sich der Umgebung optimal anzupassen – alles Eigenschaften, die Cashmere so einzigartig machen und zur textilen Nutzung prädestinieren
Struktur und Aufbau
Die morphologische Struktur der Cashmere Faser ähnelt der Struktur feiner Wolle. Man kann sich die Fasern als lange, hohle Hornfäden aus α-Keratin vorstellen, die im Wesentlichen aus hochvernetzten Polypeptidketten bestehen. Die Farbe der Faser wird wie beim menschlichen Haar durch das Pigment Melanin bestimmt. Grob betrachtet, baut sich die Faser in drei Schichten auf: der äußeren Schuppendecke (Cuticula) aus verhornten, flachen und übereinander greifenden Zellen, die sich ähnlich zur Haarspitze orientieren wie ein Tannenzapfen.
Diese Schicht umgibt den Faserstamm (Cortex), der aus polymeren Spindelzellen besteht und mit circa 80 Prozent den Hauptanteil des Haares bildet. Im Inneren befindet sich der Markstrang (Medulla), er ist meist hohl und mit Luft gefüllt.
Im Gegensatz zur groben Schuppenschicht einer Schafwollfaser, die ein hoch aufgestelltes, dachziegelartig angeordnetes Erscheinungsbild hat, ist die Cuticula der Cashmere-Faser kaum beschuppt, ihre leiterartigen Schuppenzellen liegen glatt und eben an. Unter dem Mikroskop betrachtet, erinnern Cashmere-Haare an leicht gebogene Bambusrohre. Die niedrige Schuppenhöhe der Flaumhaar-Faser ist der Grund für die weiche Anmutung und die angenehme Griffigkeit der Rohware.
Das grobe Grannenhaar der Cashmere-Ziege weist dagegen ähnliche äußerliche Merkmale wie Wolle auf, ist also schuppiger und stärker.
Die Qualität
Vier wesentliche Parameter bestimmen die Qualität der Cashmere-Faser: Länge, Querschnitt, Farbe und Anteil der verbliebenen Grannenhaare in der Rohware. Das einzelne Haar kann bis zu 75 Millimeter lang sein. In der Regel beträgt die Länge einer sehr hochwertigen Faser zwischen 38 und 42 Millimeter. Die Feinheit beziehungsweise das Querschnittsmaß wird in Mikron oder Millimetern angegeben (ein Mikron ist ein Tausendstel Millimeter, 1 μm = 0,001 mm). Je feiner das Haar, desto höher die Qualität. Der Durchmesser besonders feiner Haare variiert zwischen 14 und 18 Mikron, das entspricht ungefähr einem Sechstel des Durchmessers eines menschlichen Haares. 5 Feine Merinowolle liegt bei circa 19 Mikron, normale Schurwolle bei 22 Mikron.
Auch die Farbe ist ein qualitätsbestimmendes Merkmal. Naturweißes Cashmere ist am kostbarsten. Es ist deshalb so begehrt, weil es sich am besten verarbeiten und färben lässt – es gleicht einer Preziose von besonders hohem Wert. In China, wo man Cashmere gern als „Sanftes Gold“ oder „Weißes Gold“ bezeichnet, leben mehr Cashmere-Ziegen mit weißem Haar als anderswo. Der Lieferanteil von rein weißer Cashmere-Rohware beträgt hier 60 Prozent, wohingegen der Iran beispielsweise „nur“ 20 Prozent weiße Rohware liefert. Der übrige Anteil ist entweder hellbraun, grau oder dunkelbraun.
Insgesamt jedoch ist die Population weißer Cashmere-Ziegen gering. Gescheckte Ziegen mit verschiedenfarbigen Haaren wie braun, hellgrau oder schwarz sind in der Mehrzahl. Sie entwickelten sich über die Jahrhunderte durch den natürlich-genetischen Kreuzungsprozess. Dennoch gilt: je heller die Fasern, desto teurer die Rohware. Wird weißes Duvet-Haar mit andersfarbigem beim Auskämmen vermischt oder wird es ohne Berücksichtigung der Farben verpackt, sinkt es im Wert, denn es ist sehr aufwändig, die Rohware im Nachgang farbentsprechend zu sortieren. Die Praxis, dunklen Rohvlies im White-Bleach-Verfahren zu bleichen, kommt vor, bedeutet jedoch immer einen Qualitätsverlust. Ähnlich menschlichem Haar, das blondiert oder gefärbt wird, so reagiert auch Cashmere extrem empfindlich. Die Elastizität schwindet, die Weichheit geht verloren, der Griff wird spürbar härter, es wirkt brüchig und gestresst. Deshalb sollten chemische Behandlungen möglichst vermieden werden
Die Klassifizierung
Ebenfalls entscheidend für die Bewertung von Cashmere ist der Anteil an Grannenhaaren in der gereinigten Rohware. Weder bei der Gewinnung des Duvets, noch im Herstellungsprozess lassen sich die längeren Primärhaare zu 100 Prozent entfernen. Je nach Verwendung ist ein verbleibender Restanteil von 0,1 bis 0,5 Prozent die Regel. Besonders wertvolles Garn sollte nicht mehr als 0,1 Prozent Grannenhaare beeinhalten. Ein Garn der höchsten Qualitätsstufe trägt u.a. die Bezeichnung cashmere two ply28, es ist im Idealfall weiß, extrem fein (14 μm–17 μm), mindestens 32 Millimeter lang und wird aus zwei Cashmere-Fäden gezwirnt. Daher ist es fester und elastischer als das sogenannte einfädige Garn one ply. 1 Kilogramm des cashmere two ply28 ergibt ein Garn von 28 Kilometern Länge.
Um die einwandfreie Qualität ihrer Waren zu prüfen, orientieren sich seriöse Cashmere-Händler und -Produzenten an Richtwerten, die international festgelegten Normen entsprechen. Demnach spricht man von echtem reinem Cashmere, wenn der Faserquerschnitt die maximale Obergrenze von 19 Mikron nicht überschreitet. Dabei ist zum einen ein Variationskoeffizient von 24 Prozent zulässig, zum anderen ein Toleranz - wert von drei Prozent Anteil an Haaren mit einem Durchmesser von maximal 30 Mikron.
100 Prozent Cashmere
Der Marktwert von Cashmere richtet sich nach der überprüften Qualität. Die Preise für Rohware variieren und liegen in einem Rahmen von circa 60 bis 150 Euro pro Kilogramm. Rein weißes, 32 Millimeter langes Cashmere-Haar aus China kostet derzeit um die 125 US-Dollar und zählt damit zu den teuersten Tierhaaren der Welt.
Weil im Vergleich dazu Merinowolle bis zu zehnmal preiswerter ist, hat die Textilindustrie ein großes Interesse daran, Textilien aus relevanten Tierhaaren eindeutig zu identifizieren, zu deklarieren – und falsch gekennzeichnete Rohstoffe und Waren zu erkennen. Nach der Europäischen Textilkennzeichnungsverordnung darf das Prädikat „100 %“, „Rein“ oder „Ganz“ nur an Textilien vergeben werden, die ausschließlich aus einer Faser bestehen. Die Herstellungstoleranzmarke liegt hier bei drei Prozent Gewichtanteil an Fremdfasern, sofern dieser Anteil dadurch gerechtfertigt ist, dass er bei guter Herstellungspraxis technisch unvermeidbar und nicht Ergebnis einer systematischen Hinzufügung ist.
„100 % Cashmere“ ein so deklariertes Produkt ist demnach von höchster Güte und aus reinen Cashmere-Haaren. Soll auf einem Warenetikett „Cashmere“ stehen, muss Cashmere von mindestens 85 Prozent garantiert sein. Ein Pullover mit Cashmere-Anteil muss einen Mindestgehalt von 14,5 Prozent an Cashmere Fasern aufweisen. Trotz dieser Vorschriften kommt es immer wieder vor, dass Cashmere falsch deklariert wird. Der Preisunterschied zwischen Cashmere und anderen Tierfasern (Alpaka, Angora, Mohair, Yakhaar, Kamelhaar) ist enorm und verleitet dazu, Tierhaarmischungen in Umlauf zu bringen und diese als reinen Cashmere auszuzeichnen. Das Deutsche Wollinstitut (DWI) schätzt, dass mindestens 25 Prozent der Cashmere-Waren weltweit falsch deklariert sind eine Zahl, die Verbraucher verunsichert und die Branche ins negative Licht rückt, zumal es keine anwendbaren Gütesiegel gibt oder Institutionen, die Kontrollfunktionen übernehmen.
Mit Chlor behandelte Alpakafasern, mit Silikonpartikeln überzogene Schafwolle, mit chemischen Weichmachern getrimmtes Kamelhaar – Täuschungsversuche dieser Art dienen dem Zweck, Haare oder Wollen glatter, dünner und weicher zu präparieren, um sie wie Cashmere anfühlen zu lassen. Tricks, die oft unbemerkt bleiben, denn für Laien und selbst für Fachleute ist oft nicht erkennbar, um welche Materialien es sich handelt. Imitate lassen sich mit bloßem Auge nicht von Cashmere unterscheiden
Handelsketten
Handelsketten und Designerlabels nutzen die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Faserprüfung. Angeboten wird diese von einigen international agierenden Laboren, die weltweit von der International Wool Textile Organisation (IWTO) und vom Cashmere and Camel Hair Manufactures Institute (CCMI) akkreditiert sind. Sie verfügen über Expertise und Erfahrung, um Fasern bestimmten Messungen zu unterziehen.Angewendet werden im Wesentlichen vier inter - national standardisierte Provenienzverfahren zur Identifizierung und zur Prüfung und Feststellung des eigentlichen Faserinhaltes einer Ware:
Lichtmikroskopie (LM), Rasterelektronenmikros - kopverfahren (SEM, Scanning Electron Micros - copy), Protein- und DNA-Analyse. Die Lichtmikroskopie ist eine optische – histo - risch relevante – Methode, die seit den 1950er Jahren angewendet wird. Sie macht interne Strukturen und Pigmentierung der Faser sichtbar und beruht auf der Erkennung der Schuppen - schicht der tausendfach vergrößerten Faser. Beim Rasterelektronenmikroskopverfahren ge - ben sogenannte „topografische Fingerabdrü - cke“ auf der Oberfläche Auskunft über die optische Beschaffenheit der Faser. Die heute gängigste Methode wird seit Anfang der 1980er Jahre wissenschaftlich erforscht und modifiziert. Feinste Faserschnipsel werden einem Rastersystem folgend unter dem Mikroskop bewegt. Dabei werden Parameter wie Schuppenmuster und An - zahl der Schuppen pro Mikrometer Faserlänge, Faserdurchmesser und Aufbau der Faseroberfläche registriert und erkannt.
Das wichtigste Kriterium, in dem sich Cashmere- von Schaffasern unterscheiden, ist die Schuppenkantenhöhe. Das Rasterelektronenmikroskopverfahren ist in der Lage, diese Maße zu berechnen und auszuwerten. Die Proteinanalyse ist eine physikalischchemische Methode, die von der Tatsache ausgeht, dass verschiedene Proteine bei verschiedenen Spezies in unterschiedlicher Häufigkeit vorkommen. Sie trennt und filtert Proteine und gibt somit Hinweise auf den genetischen Ursprung von Tierhaaren. Als Träger der Erbinformationen ist die DNA für die eindeutige Identifizierung einer Spezies geeignet. Sie kommt in Haaren in ausreichender Menge und Qualität vor. Die Analyse vergleicht die zu identifizierende DNA-Cashmere-Probe mit relevanten Vergleichsproben und prüft mögliche Übereinstimmungen.