„He was so many things, he wasn’t supposed to be“, sagt Whoopi Goldberg an einer Stelle dieser faszinierenden Dokumentation über André Leon Talley. Er war so vieles, was er nicht sein sollte. Denn wer als Schwarzer in den 50ern und 60ern in Durham, North Carolina, aufwuchs, wo damals die Rassentrennung galt, hatte um Himmels Willen nicht auch noch auffällig gekleidet und homosexuell zu sein. Talley war beides – und wurde dennoch zum „Gigant“ der Modeszene. Und das nicht bloß, weil er fast zwei Meter misst. Wie außergewöhnlich er und seine Geschichte sind, zeigt Dokumentar-Filmerin Kate Novack, die bereits New Yorker Gourmets mit der Kamera proträtiert hat, in „The Gospel According to André“. Aufgewachsen bei seiner Großmutter und in bescheidenen Verhältnissen, wurde Talley schon früh vom Stilrepertoire und dem Glamour der Mode angezogen. Sein wöchentliches Highlight als Kind und Teen waren die sonntäglichen Kirchenbesuche, zu denen alle Frauen der Gemeinde sich aufwändig herausputzten, und sein heimliches Blättern in den Fashion-Magazinen der Stadtbibliothek.
Von anderen Jugendlichen schikaniert und als „Queen Kong“ beschimpft – eine Zeit, die ihm heute noch die Tränen in die Augen treibt – wusste Talley früh, dass seine Bestimmung in New York lag. Schon bald arbeitete er für Andy Warhols Magazin „Interview“ und war Dauergast im legendären Studio 54. „Er war wohl der Einzige, der nicht wegen des Sex’ oder der Drogen kam, sondern um zu tanzen“, bemerkt die Autorin Fran Lebowitz im Film trocken. Ein Wendepunkt seiner Karriere war, als Diana Vreeland, die damals das Metropolitan Museum beriet, ihn unter ihre Fittiche nahm. Noch heute nenn Talley, der mit wirklich jedem per Du ist, sie hochachtungsvoll „Mrs. Vreeland“.
Die Schule der Vreeland zahlte sich aus. Als Anna Wintour 1983 die Vogue übernahm, war es Talley, auf dessen enormes Wissen der Modegeschichte sie sich verließ. Das unorthodoxe Traumpaar wurde für drei Jahrzehnte zum Herzschlag der US-„Vogue“, und damit richtungsweise für Trends der gesamten Branchen. Im Film spricht die sonst eher distanzierte Wintour voller Wärme und Respekt von Talley. Und ist damit nicht allein: Marc Jacobs, Tom Ford, Diane von Fuerstenberg und Manholo Blanik outen sich ebenfalls als Talley-Fans. Es kommen aber auch alte Freunde und Vertraute aus seiner Heimatstadt Durham zu Wort. Wenn man diese Reise als Zuschauer miterlebt, wie der Junge, der verstohlen in der „Vogue“ blätterte, zu deren wichtigstem Redakteur wurde, dann glaubt man, wenn er sagt: „Ich lebe nicht für die Mode, ich lebe für Schönheit und Stil.“